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Episode 13 – Chengdu, Tag 1

Chengdu. Eigentlich ist Chengdu keine Stadt, die man unbedingt gesehen haben muss oder die auf irgendwelchen „Städte, die man in China besucht haben sollte“-Listen einen besonders hohen Platz einnimmt. Einen guten Grund gibt es aber dennoch: Chengdu ist Chinas „Pandahauptstadt“, bedingt durch das Panda Forschungs- und Zuchtzentrum. Das klingt jetzt erstmal nicht so spannend und irgendwie nach Zoo, ist aber eine der wenigen Möglichkeiten überhaupt Pandas zu sehen und wohl das, was einem natürlichen Habitat im modernen China am nächsten kommt -leider.

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Bitte nicht nachmachen: Bewusstseinserweitert noch mit dem Auto fahren

Zug, Zug, Zug

Nachdem die letzte Zugfahrt so unausstehlich war, wollte ich eigentlich nur noch mit dem bequemen Schnellzug fahren. Leider ist das in Zhangjiajie (noch) keine Option, da die Streckenanbindung an das Hochgeschwindigkeitsnetz sich gegenwärtig noch im Bau befindet.
Wir mussten uns erst ein paar Stunden mit dem langsamen (aber beinahe leeren) Regionalzug in Richtung Norden bewegen, bevor wir in einem Ort, dessen Namen ich vergessen habe, für die verbleibenden 900km in den Schnellzug umsteigen konnten. Ab hier war dann alles sehr einfach und sehr angenehm und die Zeit verging wie im Fluge -dank dem Notebook und mehreren Folgen von „The Wire“.

Wir erreichten Chengdu am späten Abend und nahmen uns ein Taxi zu unserem Hostel. Ich benutzte Maps um uns vor einer Spazierfahrt zu bewahren und war dadurch mein eigener Feind: Das GPS des Telefon trackte uns vollkommen falsch und setzte uns mehrere hundert Meter weiter nördlich auf die Karte (zeigte dabei aber an, präzise zu sein). Als der Fahrer uns vor der Hofeinfahrt absetzen wollte, verneinte ich vehement und wies ohn darauf hin, dass wir nicht an der richtigen Adresse sind. Das luxuriöse Hotel, dessen Parkplatz sich mit der Zufahrt des Hostels die Einfahrt teilt, ließ die Ilusion dann perfekt werden. Nach rund 20 Minuten standen wir wieder an der gleichen Stelle, diesmal aber schlauer. Ich bezahlte und wir stiegen aus.

Unpersönlich und…unpersönlich.

Wir hatten nicht mehr genug Bargeld dabei (unser Fehler), aber für drei Nächte vorgebucht. Sie hatten meine Kreditkarteninformationen und unsere Reisepässe, bestanden aber auf die prompte Bezahlung. Es war mittlerweile fast Mitternacht, ich war müde und genervt. Der langsame Check-in hat es auch nicht besser gemacht. Nach einem fünfzehnminütigen Spaziergang fand ich einen Geldautomaten, hob den fehlenden Betrag ab und trottete zurück. Nach weiteren quälenden Minuten konnten wir endlich in unser Zimmer, schlafen, fertig.

Das Hostel war ganz schick hergerichtet, ähnlich wie auch schon in Nanning und Guilin, aber auf eine erschreckende Art professionalisiert. Was sich beim regelbehafteten Check-In schon bemerkbar gemacht hat, zog sich auch durch alles Andere. Der Laden war super in Schuss -aber eben auch kein Ding von jungen Leuten für junge Leute, sondern knallhartes und kalkuliertes Business. Alles war irgendwie so unpersönlich und ohne Liebe. Wenn ich behaupten würde, das hätte mich gestört, müsste ich leider übertreiben, richtig wohl gefühlt habe ich mich trotzdem nicht.

Tag 1: Stadterkundung und Tempelanlage

Gleich um die Ecke, nur wenige Gehminuten entfernt, befindet sich eine alte und wichtige Tempelanlage/ein buddhistisches Kloster: Wenshuyuan.
Auf dem Weg dorthin bzw. kurz vor dem Eingang machten wir eine unglaubliche, widerliche und erschreckende Entdeckung. Da lag ein Typ auf der Straße, vermutlich ein Obdachloser, auf dem Bauch, nur mit einer Unterhose bekleidet. Der Po leicht in den Himmel gestreckt. Kennt ihr diese Schaschlikspieße aus Holz? Aber nicht die dünnen, die aussehen wie längere Zahnstocher, sondern diese großen, mit einem rechteckigen Durchschnitt?
Der Mann hatte ebendiese, rechts und links, leicht unterhalb seiner Pobacke tief in seinem Oberschenkel stecken. Der Anblick war hochgradig verstörend und hat uns eine ganze Weile begleitet. In Deutschland hätte ich mindestens die Polizei angerufen, hier habe ich das aber den anderen Passanten überlassen (ich hatte weder ein Telefon, noch eine Nummer noch versteht mich irgendjemand). Also bitte nicht falsch verstehen, da waren viele Leute auf der Straße.

Mit diesem Anblick im Kopf haben wir uns die Tempelanlage angeschaut. War ganz nett, aber ich bin ja nunmal leider niemand, der sich so sehr für Tempel interessiert. Wenn ich ganz böse wäre, würde ich jetzt sagen „Kennste einen, kennste alle“. Ganz so weit will ich dann aber doch nicht gehen, aus Anstand 😉

Ich muss aber auch sagen, dass ich mit der Art der Darstellung von solchen Sehenswürdigkeiten nicht richtig warm werde. Man kann seine Runde drehen und sich alles angucken, klar, aber so richtige Erklärbär-Tafeln findet man nur sehr selten. Dazu kommt, dass mich eine Kammer, in der die Mönche leben, mehr interessiert als der 600ste Buddha-Altar. Wenn ich solche Orte besuche, möchte ich gerne ein Gefühl dafür kriegen, wie die Leute hier wohnen, leben, wie ihr Tagesablauf aussieht und so weiter. Solche Sachen bekommt man leider nie zu sehen und auch nicht erklärt. Immerhin konnte ich durch einen Türspalt in den leeren Speisesaal sehen und mir so zumindest davon ein Bild ausmalen.
Auf dem Weg zurück zur Hauptstraße war der Mann mit den Schaschlickspießen verschwunden.

Unweit des Tempels befindet sich eines der „alten Viertel“. Diese sind nicht per se alt, viel mehr wurde sie wieder touristenfreundlich in Stand gesetzt. Daran muss man sich in China übrigens gewöhnen: Überall werden Dinge wieder aufgebaut und mehr oder minder historisch korrekt aufgearbeitet, die man erst wenige Jahrzehnte vorher, ohne mit der Wimper zu zucken, dem Erdboden gleichgemacht hat. Immer wenn ich mit solchen restaurierten (und dadurch einfach sehr künstlichen) Attraktionen konfrontiert werde, bin ich froh, dass sich in Deutschland (bzw. Europa im Ganzen) schon sehr früh ein Bewusstsein für sowas entwickelt hat. Nicht auszumalen, wenn man beispielsweise halb Rom für Plattenbauten eingestampft hätte…

Dieses alte Viertel war eine Art Fußgängerzone und erinnerte mich ein bisschen an die engen Straßen von Hoi An in Vietnam. Geschäfte, Bars, Cafés und Straßenstände buhten um die Gunst der Touristen. Wenn man für einen Augenblick vergisst, dass hier alles „nur“ wiederaufgebaut wurde, ist es sogar recht nett anzusehen.

Der weitere Weg an diesem Nachmittag führte uns noch in den „People’s Park“. Wir wollten wenigstens irgendeine Grünfläche ausprobieren und entschieden uns für diese.
Der People’s Park macht seinem Namen alle Ehre. Überall Männer, Frauen, Paare, Familien mit Kinderwägen, Kinder und auch alte Menschen. Alle gingen irgendeiner Beschäftigung nach, sei es ein Spaziergang, eine Stunde Tai Chi am Abend, eine Diskussionsrunde bei einer Tasse Tee, ein Kartenspiel, die Teilnahme an einer Tanzgruppe oder eine Runde chinesisches Schach. Die Leute hier sind gerne draußen (ähnlich wie in Vietnam) und es ist jede Menge los.

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Eben noch mit „Karate Kid“ im Kino, jetzt in Chengdu im Park.

Am Abend gännten wir uns einen Besuch in einem vegetarischen Restaurant der Stadt. Wir ahnten schon, dass die Preise etwas höher sind, aber wir waren einfach in der Stimmung für etwas „Fine Dining“, zumal wir in de letzten Wochen ja nicht immer unbedingt Glück mit dem Essen hatten.
Die Küche der Region, Szechuan (Sichuan), ist bekannt für ihren ausgelassenen Einsatz von Pfeffer und Chili, was genau nach meinem Gusto ist. So war es dann auch eine helle Freude für mich, durch die bebilderte Karte zu blättern und all die schönen  Fleischersatzvariationen in leckeren Saucen präsentiert zu bekommen.
Wir entschieden uns für zwölf Dumplings, einer Art „Hähnchen“barbecue und einem Pfeffer/Chili/Öltopf mit Bambussprossen, Nudeln und „Fleisch“. Das war großartig. Ich hatte schon laaaaange nicht mehr so gut gegessen (und auch schon lange nicht mehr so scharf). Einzig und allein die chinesische Eigenart, literweise Öl zu benutzen, trübte den Gesamteindruck ein bisschen.
Pappsatt machten wir uns auf den Weg zurück zum Hostel. Ein anstrengender Tag mit vielen gelaufenen Kilometern lag hinter uns, die nächsten versprachen nicht weniger anstrengend zu werden.

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