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Episode 11 – Guilin

Als wir das Hostel verlassen, gab es noch keine Chance, an Frühstück zu kommen. Wir machten uns also hungrig auf den Weg zum Bahnhof. Heute stand meine erste Hochgeschwindigkeitszugfahrt in China auf dem Programm, nach einer Fahrt mit dem ICE von Nürnberg nach Frankfurt auch erst die Zweite insgesamt. Ich bin kein Zugnerd, aber bei sowas kommt dann doch immer das Kind in mir heraus. Ich freute mich darauf.

Hochsicherheitszugreisen

Am Bahnhof angekommen, ihr erinnert euch an meinen Kommentar bzgl. der Hochsicherheitszone ähnlich wie am Flughafen, ließen wir den Sicherheitscheck über uns ergehen. Es kam wie es kommen musste, unsere beiden Taschen wurden auf die Seite gestellt und wir mussten sie aufmachen. Beanstandet wurde eine Flasche Sprühdeodorant, weilsie die zulässige Größe überschritten hat. Schade um die ca. 3,50 EUR die wir vor ein paar Tage in Hanoi dafür bezahlt haben, aber verkraftbar. Ärgerlich ist nur, dass man vorher nicht wirklich darauf aufmerksam gemacht wird (mit Schildern) und, das ärgert mich noch viel mehr, dass sowas im Reiseführer ncht mit einer einzigen Silbe erwähnt wird (dafür aber so viel anderer, unwichtiger und blödsinniger Müll).
Der zweite Gegenstand der beanstandet wurde, war mein Taschenmesser. Ich habe mir vor der Reise noch ein Schweizer Taschenmesser aus Deutschland mitbringen lassen, weil das für mich ganz oben auf der Liste der Reiseutensilien steht (und ich schon so oft, bspw. auf Borneo, eines vermisst habe). Ich habe die Deo-Verwirrung genutzt und mich erst mal dumm gestellt und nicht weiter reagiert, sollte meine Tasche dann aber nochmal durch die Kontrolle geben. Auch diesmal redeten die Damen wieder in chinesisch auf mich ein. Ich wusste ganz genau worum es geht, habe mich aber weiterhin dumm gestellt. Glücklicherweise riefen sie einen Polizisten, welcher der englischen Sprache mächtig war, zu Hilfe. Er fragte mich, ob ich ein Messer dabei hätte. Ich sagte „Ja, mein Taschenwerkzeug“, zeigte ihm das Taschenmesser und er nickte nur. Glück gehabt. War das Deo schon ein bisschen ärgerlich, hätte mich der Verlust des Taschenmessers für 25-30 EUR schon etwas wütend gemacht.

Nach der Sicherheitskontrolle gibt es den sogenannten „Check-In“, eine Ticktkontrolle bevor man überhaupt in den Wartebereich vorgelassen wird. Anschließend haben wir am Bahnhofssupermarkt noch schnell abgepackte Backwaren und Kekse gekauft, das musste an diesem Morgen als Frühstück ausreichen.
Im chinesischen Bahnhof gibt es, je nach Bahnhofsgröße, einen oder mehrere Wartebreiche. Jeder abfahrende Zug ist dabei einem Wartebreich zugeteilt. Es wird erwartet (manchmal auch kontrolliert), dass man sich im korrekten Wartebereich aufhält. Für jeden, der bisher nur in Deutschland Zug gefahren ist, ist das System hier ziemlich ungewohnt. Anstatt, wie aus der Heimat gewohnt, einfach an den Bahnsteig zu gehen und zu warten, bis der richtige Zug einfährt, wartet man hier im Wartebereich in der Bahnhofshalle und hat keine Möglichkeit, schon das Gleis zu bertreten. Wenn ein Zug einfährt, werden alle Passagiere zum „Boarding“ gerufen, d.h. die Fahrkarten werden an einem Durchlass kontrolliert. Nur Passagiere, die ein gültiges Ticket für den entsprechenden Zug besitzen, dürfen das Gleis auch betreten.

Wenn man dann endlich auf das Gleis kommt und der Zug schon dort steht, hechtet man wie gewohnt zu seinem korrekten Wagen und steigt dort ein. Es ist übrigens nicht erwünscht, woanders einzusteigen und durch den Zug zu marschieren (wie in Deutschland üblich), beim Besteigen des Waggons wird ebenfalls die Fahrkarte überprüft (und ob man am richtigen Einstieg ist). Hier sollte ich noch erwähnen, dass alle Schlaf- und Sitzplätze personalisiert und an einen fixen Platz gebunden sind.
Sollte der Zug noch nicht eingefahren sein, werden die Fahrgäste am Bahnsteig schön geordnet vom Personal in Reihen aufgestellt, um das Einsteigen zu beschleunigen.
Der Zug, so hässlich er von außen auch ist, bietet innen jede Menge Komfort und ist wohl der gemütlichste Zug, mit dem ich bis dato gefahren bin. Ich kann meinen kleinen Rucksack in den Fußbereich stellen und habe trotzdem noch genügend Platz für meine Beine, auch wenn der Vordermann seinen Sitz komplett zurückstellt, stoße ich mir nicht das Knie. Außerdem hat jeder Doppelsitzplatz Zugang zu einer Steckdose. Die Fahrtzeit beträgt diesmal zwar nur lächerliche 2,5 Stunden, aber für zukünftige Fahrten halte ich die Steckdose in positiver Erinnerung.

Videospiele als Inspirationsquelle

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Ich muss ehrlich sein, ich hatte vorher von China überhaupt keine Ahnung. Null. Nichts. Und auch wenn das jetzt für jemanden total schräg klingt, die erste konkrete Visualisierung mit den landschaftlichen Gegebenheiten in China wurde mir in „Battlefield 4“ zwangsaufgedrückt. Am Anfang war das noch eher beiläufig, als Miriam dann schon auf den Phillipinen war und ich noch auf meine Abreise „wartete“, machte ich beim Spielen mit den Jungs immer öfter Bemerkungen darüber, dass ich ja bald diese Orte in „echt“ sehen werde. Guilin ist einer dieser Orte. Im Spiel ist es meine Lieblingskarte und auf Bildern fand ich es auch sehr ansprechend. Dementsprechend aufgeregt war ich dann, als ich endlich dort ankam, wo ich fast zwei Jahre vorher realisiert habe, bald mal vorbeizuschauen.

Hostel der Glückseligkeit

Wir schnappen uns vom Bahnhof ein Taxi. Es gibt zwar eine Möglichkeit mit dem Bus, wir sind aber a) müde und b) mit so viel Gepäck unterwegs und c) einfach zu faul, uns bis zum richtigen Bus durchzuschlagen. Nach einem leichten Umweg unserer Taxifahrerin (die erstmal losfährt und danach die Adresse in ihr Navi eingibt) finden wir uns Hostel im Hinterhof einer Seitengasse -mal wieder nicht sehr vertrauenserweckend, nicht mal am Tage. Nach dem Betreten sind wir aber erneut überrascht: Eine moderne, helle Lobby strahlt uns entgegen. Nicht der Stil, in dem ich mich selbst einrichten würde, aber für einen Gemeinschaftsraum ziemlich gut. Sah aus wie eins dieser jugendlichen Wohnzimmer aus dem IKEA-Katalog.
Wir wurden nett begüßt und waren die ersten/einzigen im 8er Schlafsaal. Normalerweise buchen wir ja nichts über einen 4er-Raum, aber diesmal waren wir mutig genug, es zu tun. Das sollte ich auch als absolut richtige Entscheidung herausstellen. Der Raum war eine Art langer Schlauch und wir bekamen das letzte Doppelbett. Hier standen aber keine einfachen Metall- oder Holzbetten, das waren maßgeschreinerte, echte Möbel. Jedes Bett war nach normalen Maßen gefertigt (also normale Matratzenbreite und -länge), hatte einen abschließbaren Schrank, Licht, Steckdosen und einen Vorhang. Dadurch, dass wir die letzten beiden Betten hatten, musste auch niemand an uns vorbeilaufen. Und selbst wenn -der Raum ließ noch gute 2,5m Platz zur Wand.
Da es noch recht früh am Tag war, bestellten wir uns auch direkt ein leckeres Frühstück. Danach ging es auf die obligatorische Stadterkundungstour, gepaart mit der Notwendigkeit des Ticketkaufs für die Weiterfahrt in ein paar Tagen.

Gediegen am Tage, strahlend in der Nacht

Wie schon Nanning, kommt Guilin als modernde Großstadt daher und hat, für einen Deutschen wie mich, mit knapp 5 Millionen Einwohnern (also dreimal Hamburg) einen unglaubliche Größe. In der Realität, und das gilt für die meisten Städte in China, wirken sie aber nicht so groß, wie man aufgrund der Einwohnerzahl vermuten würde. Klar, sie sind riesig, aber DIE Einkaufsmeile oder Innenstadt wie in europäischen Großstädten gibt es hier eher weniger, die Städte wirken ein bisschen dezentraler, dadurch verläuft sich alles ein bisschen mehr.
Auf jeden Fall ist Guilin am Tag eine ganz normale Stadt und fühlt sich an wie Frankfurt oder Mainz, nicht wie Hamburg, München oder Berlin. Mir gefällt die Stimmung in der Stadt, die ich ganze subtil wahrnehme. Die Menschen scheinen irgendwie alle ziemlich entspannt zu sein, es herrscht wenig Eile und ich fühle mich auch direkt ein bisschen entspannter.
Nach Einbruch der Dunkelheit legt Guilin, welches laut Reiseführer nicht unbedingt als unglaublich attraktive Stadt gilt, aber nochmal ein ganzes Stück zu. Die mittig in der Stadt gelegenen Zwillingsseen und die beiden Pagoden (Sonne und Mond) am See, der liebevoll angelegte Spazierstreifen rund um das Ufer sowie begehbare Stege und Pavillions auf den Seen werden von unzählbaren Lichterketten und Laternen illuminiert und verleihen der ganzen Szenerie eine unglaubliche Stimmung. Ich bin eigentlich kein großer Freund von übermäßigem Leuchtmitteleinsatz, hier hat man aber ein gutes Maß gefunden und sehr gute Arbeit geleistet. Leider blieb die Kamera an diesem Abend im Hostel, ich habe also kein brauchbares Bild vorzuweisen, ein Einfangen der Gesamtstimmung ist mit einem Bild aber auch schwierig, ich überlasse es eurer Vorstellungskraft 😉

Ich habe es verbockt

Für den nächsten Tag hatte ich eine Fahrradtour geplant. Ich habe es tatsächlich geschafft, zwei Mountainbikes zu reservieren und auch tatsächlich auszuleihen, wir haben es tatsächlich geschafft, mal vor 10 Uhr das Haus zu verlassen. Ich war begeistert.
Unser gefährliches Halbwissen stammte aus dem Lonely Planet. Leider war das schon ein paar Tage her und wir haben beide diverse Informationen daraus und aus dem Internet vermischt, vergessen und zu allem Überfluss auch noch ein bisschen aneinander vorbeigeredet. Heraus kam dabei ein ziemlich hässliches Missverständnis und die Bestrafung für meine „Ja wird schon“ Haltung und meine Ablehnung dagegen, mich zu viel mit dem Planen auseeinanderzusetzen.
Guilin war, neben der Mauer, eigentlich mein persönliches Highlight in China und ich habe mich, wie eingangs schon erwähnt, sehr darauf gefreut. Um so mehr hat es mich geewurmt (mich wurmt es noch heute), dass ich es so vermasselt habe. Aber alles der Reihe nach…

A) Was wir getan haben:

Wir sind, an einem Fluss entlang, nach Norden geradelt. Irgendwo in meinem Kopf hatte ich abgespeichert, dass dort ein schönes Dorf liegt, dort alles so aussieht wie auf den Postkarten, Bildern und bei Battlefield und das man bis dahin ungefähr 10-15km mit dem Fahrrad fahren muss. 10-15km sind ja eigentlich ein Witz, also ging die Reise los. Nach ungefähr einer Stunde in sengender Hitze und entlang an einer vielbefahrenen Straße, kamen mir erste Zweifel auf. Wir hielten (mal wieder) und ich schaute mir meine Quellen nochmal an. Da fiel uns beiden auf, dass wir zwar das richtige Dorf meinten, aber die falsche Kilometerangabe, nämlich die einer anderen Tour, abgespeichert haben. Fail. Bis zum Dorf sind es satte 40km (pro Strecke), was natürlich für uns überhaupt nicht im Bereich des Möglichen lag. Wir sind dann auf gut Glück in eine andere Richtung gefahren und kamen irgendwie aus der Stadt raus. In den umliegenden Dörfern und Siedlungen gab es zwar die imposanten und Bekannten Kalksandformationen und jede Menge Reisfelder, die Dichte und Idylle der Postkartenmotive suchte man hier aber vergeblich. Wir düsten also mehrere Stunden hin und her und ich zwang mich, trotz der riesengroßen Enttäuschung, die Gegend ein bisschen zu genießen. Die Enttäuschung überwog allerdings.

B) Was wir tun wollten:

Wir wollten eigentlich ins wunderschöne Dorf Yangshuo und eben genau das sehen, wofür die Region so bekannt ist. Wer wissen möchte, wie das dort aussieht, darf sich gerne ein paar Bilder bei Google ansehen.
Ab Guilin gibt es Bootstouren ins Dorf, auch kombiniert mit Fahrradrückweg, oder geführte Radtouren (wenn man fit genug ist). Wir waren an dieser Stelle aber zu geizig die je 120 Yuan auszugeben (für uns beide zusammen also ca. 32 EUR).

Am Ende des Tages waren wir aber draußen in der Natur und hatten jede Menge frische Luft und Bewegung. Man muss ja auch den guten Seiten mal eine Chance geben.

Am nächsten Tag, unser Zug in Richtung Zhiangjiajie fuhr erst am frühen Abend, hatten wir den ganzen Tag Zeit, einfach mal in der Lobby rumzuhängen. In der Regel sind die Hostellobbys voll mit Leuten, denen ich lieber aus dem Weg gehen möchte oder einfach ungemütlich oder bieten mir keinen Mehrwert, das war hier mal eine willkomme Abwechslung und ein schöner, entspannter Nachmittag (unter anderem zum Aufarbeiten des Blogs).

Ungefragte Gespräche

Fast hätte ich vergessen, den seltsamen Briten zu erwähnen. Zum Glück fällt er mir doch noch ein.
In unserer zweiten Nacht (nach unserer Radtour), sind wir recht spät ins Bett gegangen, die anderen Leute im Zimmer haben schon geschlafen. Es müsste gegen elf oder halb zwölf in der Nacht gewesen sein als sich plötzlich die Tür öffnete und ein Typ das Zimmer betrat. Ich saß auf meinem Bett und schaue reflexartig zur Tür, sehe den Kerl und ringe mir eine (leise) Begrüßung ab. Das hält ihn aber nicht davon ab, laut „Hi“ zu sagen und gleich ein „Where are you from?“ hinterherzuschieben. Lauthals. Quer durch das ganze Zimmer. Ich gab ihm, deutlich leiser, eine Antwort, deutete auf die anderen Betten und machte ihm klar, dass die Leute schlafen. Er beließ es dann dabei.

Am nächsten Morgen ließ er sich es nicht nehmen, sich neben unseren Tisch zu setzen (aber schon in dieser Reichweite, die in meine Selbstschutzzone eindringt, wisst ihr was ich meine? Distanzlos eben. Noch nicht an meinem Tisch, aber auch nicht mehr richtig „nur“ am Nachbartisch) und loszupplappern. Das wir gerade am frühstücken sind und Essen auf unserem Tisch steht, interessiert ihn dabei nicth die Bohne. Er sei schon bald vier Wochen in China, hat diesdas gesehen, fährt gerne Stehkarte um Geld zu sparen (was Unfug ist, da die Stehplatzkarte das Gleiche kostet wie die Sitzplatzkarte, sofern es noch welche gibt) und legt sich dann unter die Sitze, um bei den 20+x Stunden Fahrtzeit trotzdem zu schlafen (was eklig ist, da der Zugboden manchmal als Universalmülleimer dient und sich kein Schwein drum kümmert, was da an Essensresten, Müll oder Getränken landet) und wie anstrengend, zeitraubend und kräftezehrend das Reisen in China doch ist. Als er uns seine bisherige Route mitteilt (ich habe die Details vergessen) wird uns auch schnell klar, wieso der das so anstrengend findet: Anstatt eine sinnvolle Route abzufahren, fährt er, mit fehlender Impulskontrolle o.ä., immer dorthin, wo ihm gerade jemand erzählt hat, wie toll es dort ist. Kreuz und quer. Komischer Typ. Nett war er bestimmt, keine Frage, aber er wollte unbedingt reden. Pausenlos. Und sämtliche Fragen, die er stellte, waren rhetorischer Art. Die Antworten interessierten ihn einen Scheiss, da hörte er nicht mal mehr richtig zu. Dialogüfhrung 6, setzen.

Unser nächster Halt ist Zhangjiajie, was ich bis dahin noch nie gehört habe. Was genau uns auf der über 12stündigen Nachtzugfahrt im Sitzen alles erwartet, lest ihr beim nächsten Mal.
Weil ich es vergessen habe, gibt es auch diesmal nur wieder die hässliche Karte. Sorry dafür 😉

Bis dahin!

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