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Episode 12 – Zhiangjiajie

Die Zugfahrt war die Hölle.

Die Bahnen sehen ungefähr so aus, wie die alten Waggons der DB, die bis vor 10 Jahren im Regionalverkehr eingesetzt wurden. Auf beiden Seiten des Waggons befinden sich gegenüberliegende Sitzreihen mit Platz für jeweils zwei bzw drei Personen, also vier oder sechs pro „Abteil“, wenn man das so nennen möchte. Am Ein- und Ausstieg jedes Waggons befindet sich eine Toilette, ein Hahn für kostenloses heißes Wasser und der „Raucherbereich“. Ich schreibe das deshalb in Klammern, weil der Bereich sehr großzügig gestaltet war und es sowieso keine Türen gab.
Im Endeffekt stank das gesamte Abteil nach Rauch, und zwar nicht wenig, teilweise so stark und penetrant wie eine Frankfurter Eckkneipe während eines Fussballländerspiels. Dazu war der Zug gerammelt voll, rund um uns herum waren Leuten am schmatzen, Film schauen, diskutieren. Zwischendrin wir und quängelnde Kinder, chinesische Cartoons auf dem iPhone und kuschlige Nähe zum Sitznachbarn. Es war so unglaublich unherrlich wie es nur hätte sein können.
Dazu kam noch der Umstand einer Nachtfahrt und die traurige Tatsache, dass man generell sehr wenig Beinfreiheit hat, was auch keine andere als eine aufrechte Sitzposition zulässt. Klar, philippinische Reisebusse können schlimmer sein (vor allem nach Banaue), angenehm ist trotzdem anders.

In Changsha haben wir rund zwei Stunden Aufenthalt. Der Irrwitz der chinesischen Sicherheitsbestimmungen wird hier nochmal besonders deutlich: Man hat de facto nur einen Ausweg vom Bahnsteig. Ein Bahnsteig, auf den man nur Zutritt hat, wenn man durch die Sicherheitskontrolle an diesem oder seinem Urpsprungsbahnhof gekommen ist. Es gibt aber KEINEN Transitbereich. Man wird gezwungen, den Bahnhof komplett zu verlassen, auf dem Bahnhofsvorplatz wieder zum Haupteingang zu laufen und sich dort wieder anzustellen und der erneuten Taschenkontrolle blablabla zu unterziehen. Ich habe bis heute nicht verstanden, was dieser Umstand soll und bin auch bis heute kein Freund von diesem Sicherheitsfanatismus.

Der Bahnhof in Changsha quälte uns volle zwei Stunden mit unglaublich lauten Durchsagen, die sich alle 20-30 Sekunden wiederholten. Auch Kopfhörer und Musik konnten nicht gegen die Durchsagen helfen, man hörte sie noch immer. Schlafen war dementsprechend auch keine Option.
Beinahe erleichtert bestiegen wir den Zug, der uns in weiteren 4 Stunden an unser Ziel bringen sollte. Auch wenn die Fahrt diesmal kürzer war als der Trip bis nach Changsha, war sie keineswegs angenehmer. Ich war froh, als wir am frühen Morgen unser Zeil erreichten.

Wir zeigten einem Taxifahrer vor dem Bahnhof unsere Zieladresse. Er nickte, wir verstauten das Gepäck und stiegen ein. Nach 50m Fahrt und einer Biegung später, tippte er etwas in sein Telefon und hielt es uns hin. „20 Dollar“ zeigte das Display. Wir lachten reflexartig auf, verneinten und stiegen an Ort und Stelle wieder aus. Das war der wohl dreisteste, aber auch dämlichste Versuch uns zu verarschen, der uns seit Langem untergekommen ist.
Wir nahmen dann doch den Bus. Der brauchte zwar über eine halbe Stunde, kostete uns dafür aber nur 4 Yuan (0,53 EUR), Stadtrundfahrt inklusive. 20 Dollar, ja nee, ist klar 😀

Das Hostel hatte gute Ratings auf booking.com und war auch irgendwie alternativlos. Durch irgendein Bonusprogramm auf booking und einen Tagesrabatt hat uns das Zimmer lächerliche 3 EUR pro Person und pro Nacht gekostet. Wieso das unglaublich gute Rating zustande gekommen ist, bleibt aber ein Rätsel. Die Leute da waren nett, das wars aber auch schon. Das ganze Haus war Zeuge eines Wasserschadens, den man zwar zu übertünchen versuchte, dessen Spuren man aber nicht wirklich fachmännisch beseitigt hat. Generell schien hier ein bestehendes Feuchtigkeitsproblem vorzuherrschen: Die Farbe blätterte ab, die Räumen fühlten sich feucht an, haben feucht gerochen und an den Wänden sammelten sich Kristalle und/oder Schimmel. Da ich eigentlich auf Schimmel allergisch reagiere und den Aufenthalt in solchen Räumen nach nur wenigen Stunden mit Erkältungssysmptomatik quittiere, schätze ich mal, dass es in diesem Falle keine Schimmelpilze waren, die wir dort entdeckten.

Wir hätten reklamieren können, haben uns aber dagegen entschieden. Die Suche nach etwas Neuem, die generelle Diskussion und schlussendlich rein kosmetische Mängel (es war im Zimmer feucht, hat aber hauptsächlich nach dem Holzbett gerochen) haben uns dazu bewogen, es erst einmal mit der Entfeuchterfunktion der Klimanlage zu versuchen. Das brachte dann nach einigen Stunden auch eine spürbare Verbesserung.

Die Leute da waren echt nett, hilfsbereit und konnten Englisch, ein echtes Novum in China, der Rest war aber wirklich nicht gut. Vor allem nachdem wir in Guilin so eine tolle Unterkunft hatten, war das hier eine echte Enttäuschung.

Wir schliefen erst mal ein, zwei Stunden und erholten uns von der Reise der Nacht. Der Rest des Tages galt dann wieder der Erkundung der Stadt, dem Abendessen und dem Einkauf im Supermarkt um die Ecke. Etwas Besonderes gibt es in Zhangjiajie aber nicht zu sehen, dementsprechend ereignislos war auch der Abend.

Warum fährt man denn dahin, wenn es dort nichts zu sehen gibt?

So langweilig Zhangjiajie auch sein mag, so liegt es sehr günstig zwischen zwei tollen Attraktionen. Im Süden wird die Stadt begrenzt vom Tianmen Mountain Park (und anderen Gipfeln), den man, unter Anderem, mit der angeblich längsten Seilbahn der Welt (7,5km) erreichen kann.
Im Norden, je nach Zugangspunkt 40-90 Minuten Busfahrt entfernt, befindet sich der „Zhangjiajie National Park“, ein riesiges Areal voller säulenartiger Gebirgsformationen mit vielen Kilometern angelegter Wanderwege, Seilbahnen und dem höchsten Outdoorlift der Welt (330m). Bekannt ist die ganze Szenerie auch als „Avatar Mountains“, was hier auch kräftig so beworben wird. James Cameron jedenfalls hatte diesen Ort vor seinem Film nicht gekannt, das hält die geschäftstüchtigen Chinesen aber nicht davon ab, ihre Touristenlüge inkl. photogeshoppter Bilder lukrativ am Leben zu erhalten.
Da beide Parks je 40 EUR pro Person kosten (OHNE Seilbahnen etc. pp.) entscheiden wir uns für eine der Beiden, nämlich die nördliche Option. Das Ticket ist zwar teuer, aber auch für vier Tage gültig.

Am ersten Tag fuhren wir rund 45 Minuten mit dem Bus nach Wulingyuan, ein kleines Dorf am Rande des Nationalparks. Hätte ich mich vorher besser informiert (der Lonely Planet schweigt sich zu Zhangjiajie beinahe komplett aus, die kurzen Verweise lassen darauf schließen das kein Redakteur jemals selbst hier war), hätte ich auch gewusst, dass es durchaus Sinn macht in diesem Dorf zu schlafen. Die Hotels dort sind brauchbar, es gibt gut bewertete Restaurants verschiedener Küchen und, der Hauptgrund, man braucht nur wenige Gehminuten bis zum Eingang des Parks. Würde ich nochmal dorthin fahren, würde ich in diesem Dorf schlafen und Zhangjiajie selbst nur für den Bahnhof benutzen.

„The Great Wall“? Neee, „The Great Staircase“!

Auf dem Parkgelände verkehren kostenlose Shuttlebusse. Diese sind auch nötig um vom Eingang überhaupt zur ersten Kreuzung zu gelangen, von der ein Wanderweg auf das Bergmassiv möglich ist.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass man KEINE Karte des Geländes bekommt. Für mich persönlich ist das bei 40 EUR Eintritt ein schlechter Witz, zumal die Beschilderung der Wege manchmal unvollständig ist und viele Wege nicht ersichtlich sind. Das ist jetzt ausnahmsweise kein Komfortgeheule von mir, bei den über hundert Kilometern Wanderwege und einem so weitläufigen Gelände grenzt das an Verantwortungslosigkeit.

Wir entschieden uns für den Aufstieg zu Fuß. Die erste halbe Stunde war auch noch sehr angenehm, wir folgten einem Pfad parallel zur Bahn (!), die sich den seichten Aufstieg hochschlängelte. Wir lobten an dieser Stelle noch die Zugänglichkeit für körperlich beeinträchtige Menschen, ahnten aber auch noch nicht was uns erwartet.
Wir stießen irgendwann auf Treppen. Treppen. Treppen. Und wir stiegen weiter Treppen. Treppen. Noch mehr Treppen. Treppen.

TreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppenTreppen

Treppen.

TREPPEN

T R E P P E N

Ich war mehrfach am Ende, meine Lungenflügel schienen zu Bersten, meine Beine waren Pudding und ich hatte Durst wie eine Sandwüste -aber nach mehreren Stunden des Treppensteigens (keine Übertreibung!) und sicherlich über tausend Stufen waren wir am Ziel -für diesen Tag.

Die Rückfahrt dauerte quälend lange 90 Minuten, da der nördliche Ausgang am schlechtesten angebunden ist und der Bus den kompletten Nationalpark umranden muss.

Am nächsten Tag versuchten wir es über die westliche Seite. Diese wurde uns, vom Personal unseres Hostels, als „besser“ angepriesen. Auch wenn wir am Vortag schöne Aussichten genießen konnten, vom Treppensteigen hatten wir beide genug. Im Park angekommen gab es dann aber den ersten Dämpfer. Der Weg, den wir uns eigentlich vorgenommen haben, hatte keinen via Bus zu erreichenden Startpunkt. Uns blieb also nichts anderes übrig, als ein Stück mit der Seilbahn zu fahren. Kein großes Ding, auch preislich noch im Rahmen. Leider haben wir aber eine gute Stunde gebraucht, um das überhaupt rauszufinden. Auch hier wäre eine Karte super gewesen.

Auf dem Berg angekommen bekamen wir die volle Breitseite des chinesischen Massentourismus ab. Jeder, der schon mal eine ähnliche Attraktion besucht hat, kennt das. Es gibt ein überteuertes Restaurant und einen Eisstand am Zielpunkt/auf dem Gipfel/Woauchimmer. Das reicht hier nicht. Hat uns das voll ausgebaute Bus- und Straßennetz schon verwundert, hat uns der Zug vom Vortag schon schmunzeln lassen: Was sich hier bot, setzte allem die Krone auf. Massen von Menschen, Massen von Bussen, eine Halle mit Spielgeräten und Flugsimulatoren, ein riesiges Hotel und ein KFC (!) rundeten das Bild ab.
Wir machten uns von hier auf eine Art Galerieweg, der viele schöne Ausblicke auf das Panorama zuließ. Der Weg war recht überlaufen, war aber wirklich nett anzusehen.

Vergessene Pfade…

Wir hatten sehr schlechtes Kartenmaterial, irgendein Werbetreibender hat eine Karte in schlechter Auflösung kostenlos verteilt. Darauf war eigentlich nicht wirklich was zu erkennen. In Kombination mit der Kopie einer veralteten, handgezeichneten Karte aus dem Hostel konnten wir aber einen Weg zurück ins Tal zumindest erahnen, der uns für gute zwei Stunden sehenswert beschäftigen sollte. Ob der Weg aber auch tatsächlich so begehabr war, wir wir uns das dachten, war unsaber lange unklar. Glücklicherweise begegneten wir jemandem mit einer detaillierten Papierkarte, wo auch immer man dieses Exemplar erwerben konnte, wir sahen es zum ersten Mal. Dort bestätigte sich unser „Verdacht“ und wir verließen den Hauptweg in Richtung Tal. Da fast alle Reisegruppen hier wieder in ihre Busse stiegen, begegneten wir beim Abstieg sehr wenigen Leuten, dementsprechend ruhig und erholsam gestaltete sich das auch. Das war für mich persönlich der schönste Teil der gesamten zwei Tage.Besonders das Flussbett hatte es mir angetan.

Zurück im Tal erwischten wir noch den Bus zurück. Zwei anstrengende aber auch lohnenswerte Tage gingen zuende. Die Gegend ist wirklich schön und bietet, wenn man sich vom Strom der vielen Menschen löst, durchaus tolle Orte und Augenblicke zum verschnaufen. Ich hätte auch noch mehr Tage dort verbringen können ohne mich zu langweilen.

Am nächsten Morgen hieß es wieder früh aufstehen, es ging weiter mit dem Zug in die Pandahauptstadt Chengdu.

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