Beijing also. Die Hauptstadt Chinas.
Ich bin mir nicht mehr sicher, was ich genau erwartet habe. Nach den ganzen Megastädten, die ich bisher in China gesehen habe, erwartete ich auf jeden Fall etwas, was in meiner Vorstellungskraft nicht unbedingt in seiner Gänze greifbar ist. Selbstverständlich sollte ich auch Recht behalten.
Ich kann nicht mal sagen, diese Stadt sei auf den ersten Blick besonders faszinierend oder besonders schön, besonders sehenswert oder eben irgendwie „Besonders“. Sie ist auf den ersten Blick einfach unglaublich riesengroß. UNFASSBAR RIESIG.
RIESIG!
RIESIG!
RIESIG!
Wir sind am Abend in Beijing angekommen, am Hauptbahnhof. Die Reise verlief ohne bemerkenswerte Zwischenfälle. Der Bahnhof allerdings überforderte uns wieder völlig, vor allem bei Dunkelheit. Der gesamte Bahnhofsvorplatz, garantiert die Fläche mehrerer Fussballfelder, war ein Open-Air Wartesaal, umzäunt von den allgegenwärtigen Metallzäunen. Besucherströme sollen so wohl gelenkt werden (haha), wie genau man jetzt aber zur Metro oder zum Taxistand kommt, ist auf Anhieb nicht ersichtlich. Die Beschilderung ist allenfalls ungenügend und teilweise auch irreführend.
Nasentest
Wir schaffen es dann doch irgendwann in ein Taxi, welches uns rasant zu unserer Unterkunft befördert. Nichts besonderes (wie immer), aber immerhin ein Doppelzimmer für uns allein, kein Schlafsaal. Ich bin soweit damit zufrieden, nur irgendwie ist da so ein komischer Geruch, den ich nicht einordnen kann. So irgendwas zwischen Käsefuß und Erbrochenem. Manchmal weht er in mein feines Näschen, manchmal nehme ich ihn nicht wahr. Ich checke kurz, ob unter dem Bett oder im Schrank was rumliegt, was da nicht hingehört. Außer zwei Paar Gummicrocs (Inventar) kann ich aber nichts finden. Rätselhaft…
Wir duschen, gehen was leckeres essen (Vegane Restaurants! Yeah, Beijing! Yeah!), legen uns danach ins Bett und schlafen recht schnell ein. Mein letzter Gedanke gilt diesem komischen Geruch. Ich spiele kurz mit dem Gedanken, auf ein anderes Zimmer zu bestehen, verwerfe den Gedanken dann aber schnell wieder. Trotzdem: Was kann das wohl sein…?
Am nächsten Morgen, noch bevor ich realisiere, wo ich mich überhaupt befinde, steigt wieder dieser penetrante Geruch in meine Nase. Ich fasse mir ein Herz und gehe der Sache erneut auf den Grund. Diesmal aber mutiger, ich rieche an den Dingen. Als ich mich den Gummicrocs nähere, muss ich fast brechen. Es sind diese widerlichen Hausschuhe. Ich tüte sie ein und verstaue sie in einer Schublade, um sie später dem Typ an der Rezeption abzugeben.
Ich weiss bis heute nicht, was genau mit diesen Schuhen los war. Es wird wohl etwas mit Erbrochenem zu tun gehabt haben, auch wenn man den Schuhen nichts angesehen hat. Wie auch immer: Wer benutzt eigentlich Hotelschuhe, die schon andere Leute getragen haben? Ich finde das unglaublich befremdlich, ja sogar widerlich.
Was gibts zu tun?
Beim Frühstück in der Bäckerei um die Ecke sondieren wir die Lage. Wir haben ein paar Tage in Beijing, bevor wir weiterziehen wollen/müssen. Wir finden Städte ja grundsätzlich aufregend, da ist man in so einer Riesenmetropole wie Beijing natürlich an der richtigen Adresse. Trotz der enttäuschenden Erfahrung mit den Tonfiguren in Xi’an steht ein Besuch der verbotenen Stadt nicht zur Diskussion. Außerdem habe ich Interesse an dem Besuch einer großen und bekannten Technik-Mall (Wir sind immerhin in China, der Zentrale des Technik-Dumpings!), es gibt interessante Tempel zu sehen, inmitten der modernen RIESIGKEIT gibt es natürlich auch noch alte, interessante Stadtviertel zu erkunden und, last but not least, muss man natürlich unbedingt die Mauer gesehen haben. Und achja, die Peking-Oper soll etwas ganz Besonderes sein, habe ich gehört. Dazu aber mehr an einer anderen Stelle. Oder wisst ihr was? Ich bring die Oper-Story jetzt, die ist gut.
Kultur! Kultur! Kultur!
Ich bin mir nicht sicher, wie viele „Kuckucksuhren-Manufakturen“ es im Schwarzwald gibt, aber ich bin mir sicher, die Anzahl wird von „Peking-Opera“ Theaterbühnen um ein vielfaches übertroffen.
Es war nicht so einfach, sich für Eines zu entscheiden. Die Wahl fiel schließlich auf das „Chang’an Theatre (长安大戏院)“, eines der moderneren seiner Art -und angeblich auch ein sehr Beliebtes. Wir kauften unsere Tickets (ich glaube das waren rund 30 EUR pro Person) und freuten uns auf den Abend. Kultur! Kultur! Juhu, Kultur!
(Disclaimer: Ich muss an dieser Stelle sagen, dass ich dem konservativen Theaterspiel durchaus zugeneigt bin, dieses Interesse bei all zu abgefahrenen oder außergewöhnlichen Darbietungen aber schnell ins Gegenteil umschlagen kann)
Wir saßen also auf unseren Plätzen, gebannt, gespannt und total aufgeregt ob dieser neuen Erfahrung. Fernöstliche Theaterkunst, unser Trip, wie aufregend. Wie kosmopolitisch.
Wie grausam.
Auf der Bühne stand eine Frau und schrie (?) in einem jämmerlichen, ohrenbetäubenden und grauenvollen Katzenjammer vor sich hin. Ich möchte niemals in meinem Leben einer Folter beiwohnen, aber bei allem was mir lieb ist, ich bin mir sicher, das sich genau SO eine Folter anhören muss. Mir fehlen noch immer die Worte dafür, was ich gesehen und gehört habe.
Das ganze Spektakel wurde begleitet von übertriebenen Gestiken, klar, und handgemachter Musik vom Drei-Mann-Orchester nebenan. Richtig brutal: Sie spielten eigentlich nur ein „Stück“, das je nach Szene an Intensität gewann oder eben auch wieder abebbte. Stundenlang. An besonders spannenden Stellen wurde einfach wild auf einen Gong gehämmert. Geil!
Die Handlung war in etwa so: Der Hauptcharakter, sehr eitel und kampfbegabt, bekommt die Liebe seines Lebens vor der Nase weggeklaut, weil irgendein hässlicher, fieser und reicher Herrscher darauf Lust hat. Mithilfe eines dicken, lustigen und noch kampfbegabteren Räuberhauptmannes (?) wird der Fiesling seiner gerechten Strafe zugeführt und am Ende sind alle glücklich und zufrieden. Das war auch soweit in Ordnung und die Performance ansonsten auch ganz nett und amüsant. Auch der „Gesang“ der Männer hatte durchaus was, was ich ihm abgewinnen konnte.
Aber diese Frau…woah. Mich schüttelts noch immer, wenn ich nur daran denke.
Wir waren danach beide bedient. Es war eine Erfahrung, aber keine, die ich so erwartet habe. Hatten wir nur Pech mit dem Stück? Vielleicht. Hatten wir Pech mit der Schauspieltruppe? Vielleicht. Haben die kulturelle Barrieren uns alles Missverstehen lassen? Vielleicht auch das.
Was für ein Abend…