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Episode 9 – Hanoi

Die Busfahrt war an und für sich in Ordnung. Wir hatten vorher Bedenken ob unserer riesigen Rucksäcke und dachten, wir müssten vielleicht extra zahlen, da wir zu viel Platz im Bus einnehmen. Man packte unsere Taschen aber in den kleinen Kofferraum an der Rückseite des Busses. Wie praktisch.
Unpraktisch war dann allerdings der Typ, der ca. 10 Minuten später in den Bus zustieg. Eigentlich war nicht er das Problem, sondern seine zwei Gänse, die er in einer Art Jutebeutel transportierte. Die beiden Grazien kamen nämlich auch in den Kofferraum -zu unseren Taschen. In diesem Augenblick verschwendete ich nur einen kurzen Gedanken daran und schob ihn als absurdes Hirngespinst wieder aus meinem Kopf heraus.

Aufdringliche Menschenmassen

Es kam natürlich wie es kommen musste: Als ich meinen Rucksack aus dem Kofferraum holte, hatte ich Gänseexkremente an meinem Tragegurt, auf der Höhe meiner Schulter. Aber nicht nur so ein bisschen festes, nein, der Gurt hatte sich vollgesaugt. Ich fummelte ein bisschen mit dem Taschentuch herum und konnte das Schlimmste entfernen, nach dem aufsetzen schmierte ich mir aber trotzdem was an mein T-Shirt. Die Nähe zu meinem Kopf führte dann auch automatisch zur olfaktorischen Belästigung -meine Laune war dann gerade auf einem unbedingten Höhepunkt. Und als hasse ich es nicht schon sowieso, war der Busbahnhof, an dem wir ankamen, der Inbegriff von drängelnden und schreienden Taxifahrern, die ihre Dienste feilboten. Wenn sie denn überhaupt richtige Taxifahrer waren und nicht irgendwelche Abzocker. Ich also, Opfer des Gänsegau, werde von allen Seiten mit „Taxi! Taxi!“ und „Where are you going?“ bequatscht. Dann passiert das unvermeidliche: Ich werde auch berührt. Und ich sage euch, ich HASSE es von fremden Menschen berührt zu werden, vor allem von irgendwelchen Leuten, die mir irgendwas oder irgendwelche Dienstleistungen verkaufen wollen. Ich hasse es. Und den spontanen Impuls, die Leute einfach wegzuschubsen oder nach ihnen zu schlagen, kann ich nur schwer unterdrücken. Das Resultat ist dann, dass ich noch wütender werde und sich alles in mir aufstaut. Glücklicherweise habe ich mich dann aber doch genug im Griff, um mir da keine Probleme zu bereiten. Mimi bagnn mit einem Fahrer zu verhandeln, während ich noch weiter um die Sauberkeit meiner Tasche bemüht war, mir war aber auch sein letztes Angebot noch zu hoch. Entnervt, weil der Mann unsere Zeit verschwendet, brummte ich was von „Wir laufen los!“ in Mimis Richtung und setzte mich in Bewegung. Nur ein paar Minuten weiter findet man bestimmt eine günstigere Möglichkeit, so mein Gedanke.

Unser neues Zuhause

Irgendwann fanden wir dann auch ein Taxi welches uns ohne Probleme und mit Taxameter zu unserem Hostel gefahren hat. Wir zahlten im Endeffekt die Hälfte von dem, was Mimi am Busbahnhof schon herausgehandelt hatte. Das ist ein weiteres Problem mit diesen Leuten, die Reisende abpassen: Nicht nur ihr unendliches Generve, nein, auch ihre Dreistigkeit sind eine wiederholte Erwähnung wert.

Das „Kangaroo Hostel“ liegt im Old Quarter in Hanoi. Ich nehme jetzt mal ein bisschen was vorweg: Das Old Quarter heisst so, weil es alt ist. Und grundsätzlich ist es da auch ganz nett, weil die vielen engen Gassen, kleinen Häuser, Cafes und Restaurants zum verweilen einladen. Leider spielt sich hier aber auch so ziemlich der gesamte Touristenscheiss ab, d.h. hier sind sehr viele Hostels, die Bars und Restaurants sind alle auf Ausländer getrimmt und das „echte“ Leben findet hier eigentlich nicht mehr statt. Für die Großzahl der Backpacker ist das hier wahrscheinlich „the place to be“, für mich aber nicht. Noch mehr unterhemdentragende Weißbrote mit Alkoholabusus.

Ein Besuch im Leichenschauhaus

So oder so ähnlich könnte man einen Besuch im Mausoleum von Ho Chi Minh auch nennen. Vietnams berühmtester Sohn und Staatsheld Nummer 1 liegt dort aufgebahrt und klimatisiert in einem spärlich beleuchteten Raum, umgeben von kalten, dicken Mauern und bewacht von schön uniformierten und sehr disziplinierten Staatsdienern (Soldaten?). Ich habe es leider irgendwie verschlafen ein Foto zu machen, sorry dafür. Im Innenraum liegt, an Schneewittchen erinnernd, ein präparierter Ho chi Minh in einem Glassarg. Ich konnte mich in diesem Augenblick und ich kann mich bis heute nicht entscheiden, ob ich das jetzt interessant und vollkommen in Ordnung oder doch eher peitätlos finde, einen Leichnam so zur Schau zu stellen.

Während ich hier am Schreiben bin, drängt sich in mir der Zweifel auf, ob es überhaupt Sinn macht und ob ich überhaupt Lust dazu habe, die ganze Woche in Hanoi chronologisch wiederzugeben. Irgendwie habe ich das nämlich nicht und irgendwie habe ich auch starke Bedenken, dass das für irgendwen sonderlich interessant ist. Ich setze also hier den Blinker und biege ab in die Straße der Abkürzung -ausnahmsweise.

Rumhängen!

Wenn ich ehrlich bin, und das möchte ich hier auch sein, hatten wir in Hanoi den ersten größeren Durchhänger. Nicht, weil wir keine Lust mehr haben, sondern weil uns einfach ein „Zuhause“ fehlt. Im normalen Tagesablauf kommt man eben immer irgendwann nach Hause oder man hat seine freien Tage/Wochenenden, an denen man eben einfach mal auf dem Sofa sitzt und Serien schaut, etwas liest, etwas kocht, etwas spielt…und eben all diese „Zuhause“-Dinge macht. Wenn man unterwegs ist, setzt man sich selbst automatisch mit der Tatsache unter Druck, dass man unterwegs ist. Bis 11 Uhr im Bett liegen bleiben oder mal den ganzen Tag einfach nur Filme schauen -an einem Sonntag in der eigenen Wohnung ist das kein Problem, auf einer Reise endet das in einer Diskussion mit dem eigenen Gewissen.
In Hanoi jedenfalls wurde ich mir dieser Problematik zum ersten Mal richtig konkret bewusst. Ich musste realisieren, dass wir nicht im Urlaub sind, sondern eben einfach auf dem Weg nach Hause. Und wenn man sich mal einen Tag „frei“ nimmt, dann ist das auch vollkommen okay und überhaupt keine Verschwendung. Ich hätte eine andere Meinung dazu wenn man seine zwei Wochen Jahresurlaub damit verbringt, in ein fremdes Land zu fliegen und dann im Hotelzimmer zu sitzen (oder die Hotelanlage nicht zu verlassen, liebe Pauschaltouristen). Aber so? Es ist ja eigentlich kein Urlaub im klassischen Sinne, es ist eine Reise von A nach B.

Die nächsten Tage waren dann auch dementsprechend gestaltet. Wir waren im Wasserpark, wir haben uns „Stranger Things“ zu Gemüte geführt und ein paar Filme geschaut. Außerdem gab es noch jede Menge essen, Freunde treffen und, natürlich, auch noch die ein oder andere Kultureinheit. Ich glaube ich habe das schon mehrfach erwähnt, aber ich bin ein großer Freund davon, in fremden Städten einfach irgendwie am normalen Leben teilzunehmen, mich umzusehen und spazieren zu gehen. Das klassische Abklappern von interessanten Sehenswürdigkeiten empfinde ich dann doch eher als ermüdend und oftmals auch langweilig. Viele werden das anders sehen, aber ich kann so besser die Dinge wahrnehmen, die für mich wirklich interessant sind.

In den Straßen von Hanoi…

Hier sollte eigentlich eine Bildergalerie mit vielen Bildern sein. Das Internet in meinem Hostel lässt mich aber gerade im Stich und ich kann nicht wirklich viel hochladen, dauert einfach zu lange und bricht dauernd ab. Sorry dafür. Diesmal also nur ein Bild.

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…und im Regen der Provinz.

Um uns ein bisschen besser zu fühlen (und doch noch mal ein bisschen Natur zu sehen) wollten wir in den nahegelegenen Ba Vie Nationalpark fahren, dort eine Nacht verbringen, früh am Morgen aufstehen, den Park genießen und dann am späten Nachmittag zurück nach Hanoi fahren. Der Plan war grundsätzlich kein schlechter Plan, wir hatten allerdings etwas Unglück mit den Umständen. Ursprünglich hatten wir angedacht, in Hanoi gegen 9 Uhr loszufahren, damit wir auch noch was vom Tag haben und schon mal ein bisschen den Berg und seine Umgebung erkunden können. Das Moped, welches wir zu diesem Zweck ausleihen wollten, hat mir, aufgrund sichtbarer Männgel, aber nicht zugesagt -wir mussten uns also auf eigene Faust etwas suchen. Eigentlich ist das nicht sonderlich kompliziert, aber an diesem Tag war irgendwie der Wurm drin. Zwei Mal war es fast soweit, bis dann die Verleiher im letzten Moment zurückruderten -nachdem er unseren kleinen Rucksack gesehen hatte. Offenbar wurde ihnen klar, dass wir nicht nur im Stadtgebiet Hanoi herumfahren. Das ist zwar eigentlich kein Problem, aber jeder Kilometer ist ja bares Geld. Und Geld, ja, das will hier wahrlich jeder verdienen.
Als es schlussendlich soweit war und wir losfahren konnten, war es schon knapp 13 Uhr, unser Plan also dahin. Wir düsten trotzdem los, vermieden große Straßen und hatten eine angenehme Fahrt durchs Hinterland, vorbei an Truppenübungsplätzen und zu Landstraßen umfunktionierten Flugfeldern, kleinen Dörfern, unzähligen Reisfeldern und vielerlei sehenswerten Kulissen. Wiedereinmal hat Vietnam sich von seiner schönsten Seite gezeigt und uns bewiesen, wie viel Spaß es machen kann, einfach nur herumzufahren. Außerdem war das Wetter ein Traum, klarer Himmel und Sonnenschein von morgens früh bis zum späten Abend.

Der Wecker klingelte um 6:30Uhr. Ich schaltete ihn aus und meine Aufmerksamkeit galt sofort einem anderen Geräusch. Oh nein, bitte nicht. Ich drehte meinen Kopf in Richtung des Fensters und riskierte einen Blick. Regen.

Es regnet.

Aber nicht dieser unangenehme Nieselregen, den man noch irgendwie aushalten kann. Nein. Es regnet in Strömen, ohne Unterlass. Bindfäden, wie man so schön sagt. Ich seufze, lasse mich wieder in mein Kopfkissen fallen und schlafe weiter. Bringt ja alles nichts.

Gegen 11:30Uhr, es regnet übrigens noch immer, versuche ich die Frau an der Rezeption unseres Hotels zu fragen, ob wir im Zimmer warten können, bis es aufgehört hat zu regnen. Sie versteht (glaube ich) relativ schnell und sagt, das sei kein Problem. Ich bin froh um diese Antwort, ein Checkout um 12 Uhr wäre irgendwie suboptimal gewesen.

Gegen 14:30Uhr hört der Regen endlich auf bzw. lässt er soweit nach, dass wir es wagen können. Wir schnappen unsere Sachen und schwingen uns aufs Moped. Für den Naturschutzpark, den Berg und alles, was wir sehen wollten, ist es jetzt natürlich schon zu spät. Darüber hinaus hat der Regen garantiert auch dort seine Spuren hinterlassen. Wir fahren also gute 20 Minuten in die nächste Stadt und halten an einer Bäckerei, um dort endlich etwas zu frühstücken. Anschließend geht es zurück nach Hanoi.

Goodbye Vietnam!

Zwei Tage später ging unser Bus nach Nanning, China. Wie diese Überfahrt so war und was mich in China erwartet, gibts dann beim nächsten Mal. Bis dahin!

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