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Zwischen Jeepnys, Laternen und Modern Talking #2

Am nächsten Morgen wagte ich einen Blick aus dem Hotelfenster. „Immerhin im zehnten Stockwerk“, dachte ich mir, „da kann man bestimmt etwas sehen!“
Ja, konnte man. Allerdings nichts spektakuläres:

Blick_Angeles

Im Hintergrund links der Mt. Arayat, seines Zeichens Vulkan. Vulkane gibts hier viele (und wohl auch schönere), deshalb war das auch nicht unser Ziel. Vor dem Vulkan, in blauweißgrau, eine der unzähligen SM Malls. Die Pinoys lieben ihre Malls, aber dazu später mehr.
Der Rest, der dort vor dem Betrachter liegt, ist Angeles City. Viel haben wir von der Stadt aber nicht gesehen, auch, weil es hier nicht viel zu sehen gibt. Unser Hauptprogrammpunkt war das „Giant Lantern Festival“ im Nachbarort, was aber erst am Abend stattfindet. Uns blieb also der ganze Tag zur freien Gestaltung. Mein Verlangen nach Pancakes zum Frühstück (unser Hotel hatte kein Restaurant und keine Küche) trieb uns dann in die Mall. Wir gingen den Weg vom Hotel bis dorthin zu Fuß, da wir viel Zeit hatten und wir uns ein bisschen umsehen wollten. Die Eindrücke, die ich bisher hatte, haben sich hier bestätigt. Es ist alles wild und irgendwie durcheinander. Nur alles in einer Kleinstadtvariante von Manila. Allerdings war ich viel positiver gestimmt als noch am Vorabend und konnte das alles gelassener hinnehmen. Dieses Gefühl von Gelassenheit beruhigte mich ungemein, ich schien mich datan gewöhnen zu können.
Es war mein erster Besuch in einer Mall in diesem Land. Ich war nicht unbedingt überwältigt, warum auch, schließlich ist Deutschland auch vollgepflastert mit Einkaufszentren, aber ich war doch irgendwie beeindruckt. Ich habe mit übertreten der Türschwelle einen Schritt von einem Entwicklungsland in eine Industrienation getan, so kam es mir vor. Bunt, leuchtend, laut, schrill, voll. Und sauber und ordentlich. Krasses Kontrastprogramm. Es fiel mir schwer, diesen Eindruck schnell einzuordnen. Das passte überhaupt nicht zu dem, was ich vorher gesehen habe. Beim schlendern ist mir auch aufgefallen, dass die Preise in der Mall relativ hoch sind. Das passte auch nicht zu dem, was ich über durchschnittliche Einkommen gelesen habe. Die überquillenden Fastfood-Läden in der Mall und die ganzen Menschen im Kaufrausch passen auch so überhaupt nicht zu dem, was man immer aus diesen Ländern vermittelt bekommt. Anyway, die Leute hier lieben diese Dinger. Das scheint eine Art Attraktion oder Wochenhighlight zu sein, am Wochenende in die Mall zu gehen.

Nach meinem Pancakefrühstück (ging so) und noch einem Stück Pizza (war ok) haben wir uns draußen zum Jeepney nach San Fernando durchgefragt. Das lief ziemlich locker ab, weil es hier auch verschiedene Terminals gab (ähnlich einem ZOB) und die entsprechenden Fahrtziele auf Schildern standen. Wir stellten uns also in die Warteschlange.
Warteschlange!
Das ist das Stichwort. Ich hatte mich gegenüber Mimi schon mal über das Anstehen in einer Reihe geäußert, woraufhin sie mir sagte, das sei den Menschen hier ziemlich heilig. Das Anstehen. Klingt komisch? Ja. Ist es auch. Ich find das gut und super und alles, aber wenn man mal den Verkehr hier gesehen hat, kann man das kaum glauben.
Wir haben uns also bei unserem „Jeepney-Steig“ in die Reihe gestellt. In eine so saubere und fantastische Reihe, wie ich sie bisher nur selten gesehen habe. Und das stellt hier niemand in Frage. Die Reihe wuchs hinter uns noch weiter, es müssten am Ende rund 40-50 Leute gewesen sein, die in dieser Reihe angestanden haben. Niemand hat gequängelt, niemand hat gedrängelt, niemand hat rumgelabert. Das war toll! Das ist etwas, was der ja sonst angeblich so ordentliche Deutsche noch nie hinbekommen hat: Einfach mal anstellen und warten, ohne zu lamentieren, motzen, sich zu beschweren. Das war wirklich ein cooles Erlebnis.
Während wir anstanden wurden wir schon abkassiert. Das ist hier so üblich, wenn man nicht während der Fahrt zusteigt. Sowas wäre in Deutschland auch niemals möglich, außer der Geldeinsammler hätte eine Uniform und einen Dienstausweis.

In San Fernando angekommen suchten wir uns den Weg zum Laternenfest. Auf einem bestuhlten Platz wurden wir durch ein Farbensystem auf unsere Plätze dirigiert. Vor uns standen ein paar große, runde Scheiben und ich konnte mir nicht vorstellen, wie um alles in der Welt das irgendwie cool sein sollte.
Die 9 Riesenlaternen traten an diesem Abend in einer Art Wettbewerb gegeneinander an. Ein Laternen-rock-off, sozusagen. In der ersten Runde bekam jede Laterne 60 Sekunden Zeit, um ihre, von lauter Musik begleitete, Performance abzuliefern. Das war ziemlich erheiternd und das Publikum ließ es sich nicht nehmen, die Begeisterung lauthals kundzutun. In der zweiten Runde waren die Laternen in Dreiergruppen zusammengefasst. IMG_20141213_185623
Der Clou an den Laternen ist aber die Technik dahinter: Die Kabel jeder einzelnen Lampe liegen hinten an einer Vorrichtung an, in der eine Walze liegt. Diese Walze hat Erhöhungen, die den Kontakt schließen und so die Lampe mit Strom versorgen. Das ganze Prinzip funktionert also so, wie ein typischer Leierkasten. Für jede Laterne kamen mehrere Walzen zum Einsatz, die dann mal vorwärts oder rückwärts von einem Verantwortlichen „gespielt“ wurden, wie ein Instrument für Licht. Von der technischen Seite her war das schon ziemlich beeindruckend.
Die Dritte Runde war dann der Showdown, alle Laternen gleichzeitig im Einsatz. Ich habe das mal auf Video festgehalten, damit man einen Eindruck davon bekommen kann:

Zu dem Ereignis war eine Menge Presse da, sogar der Vizepräsident hat sich das nicht entgehen lassen. Es scheint für die Einheimischen also wirklich ein bedeutendes Fest zu sein.
Anschließend sind wir zurück ins Hotel.

Am nächsten Tag sind wir an einer deutschen Bäckerei vorbei, die wir zufällig gefunden haben. War jetzt nicht so deutsch-deutsch, aber immerhin gab es mal variantenreiche Backwaren. Die Frühstückerei haben wir dann gleich hier erledigt.
Die Rückfahrt nach Manila war so, wie die Hinfahrt hätte sein sollen: Es ging recht zügig und schnell, ohne Stau. Der Schreck vom Chaos am Freitag war noch nicht vergessen, zum Glück blieb uns das diesmal erspart. Auf der Busfahrt wurden wir permanent mit einem Radiosender beschallt. Irgendwann traute ich meinen Ohren kaum: Es lief „You’re my heart, you’re my soul“ von Modern Talking. Im philippinischen Radio. Mimi sagte mir, diese Art von Mucke scheint hier sehr beliebt zu sein. Mir wurde vieles schlagartig klar: Der Typ ist so reich weil sich sein Mist woanders gut verkauft. Die paar bedepperten Ballermantrottel aus Deutschland allein hätten dafür doch niemals ausgereicht.
Kurz danach sind wir angekommen. Interessant: Der Ort des Grauens (Taft Station), der mich am Freitagabend so aus der Bahn geworfen hat und mich an allem zweifeln ließ, war tagsüber gar nicht mehr so schlimm, wie ich ihn mir mit der Film Noir Stimmung ausgemalt habe.
taft
Es lohnt sich also, nicht nur hier, sondern immer, den Dingen/Orten/Menschen nochmal die Chance auf einen zweiten Blick zu geben (außer Dieter Bohlen). Man könnte sonst etwas verpassen.

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1 Kommentar

  1. Nadine 16. Dezember 2014

    Hallo Oliver,

    ich habe von einer ehemaligen Kollegin diese Seite aufgezeigt bekommen. Deine Eindrücke sind wirklich anschaulich dokumentiert! Ein kurzes Kommentar meinerseits betreffend der Kaufhäuser: Ich glaube, dass die Kaufhäuser als „Filter der Gesellschaft“ zu betrachten sind, denn wie du schon geschrieben hast passt es nicht zum Durchschnittseinkommen der Bevölkerung.

    Ich finde es positiv, dass du diesen Schritt getan hast. Reisen jenseits des Pauschaltourismus sind unersetzbar. Ich wünsche dir weiterhin interessante und prägende Eindrücke!

    Grüße aus der Heimat,
    Nadine.

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