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The red, the white, the blue #1

Als ich ein kleiner Junge war, hatte ich keinen blassen Schimmer, was „Amerika“ oder „USA“ bedeutet. Als ich ein etwas größerer Junge war, begriff ich, dass es verdammt weit weg ist. Als ich noch ein bisschen älter war, während meiner Pubertät, entwickelte ich, so wie fast alle in meinem Alter, ein großes Interesse an allem, was aus den USA kam. Süßigkeiten, Musik, Snacks, Kleidung -fast alles von „drüben“ weckte irgendwelche Begehrlichkeiten.

Für den einen oder anderen Leser mag das jetzt klingen, als sei ich in den 70er oder 80er Jahren groß geworden, ich rede aber ausschließlich von der Post-Nirvana Zeit. Mein subjektiver Höhepunkt dieses Empfindens müsste irgendwo zwischen 1998 und 2004 liegen, so genau kann ich das heutzutage nicht mehr eingrenzen.

Medienkompetenz: 6

Ich hatte damals einen sehr engen Freund, K., dessen Vater aus den USA kam und in unserer Provinzstadt gewohnt hat. Dadurch hatte ich meinen ersten echten Kontakt mit Zeug aus dem Land, das jahrelang in irgendwelchen Filmen hochstilisiert wurde. Seltsamerweise existierten in meinem Kopf keine US-Großstädte, nein, für mich bestand dieses Land ausschließlich aus staubigen Wüsten, unendlichen Straßen, Männern in Jeans und Frauen mit Flanellhemden. Die USA waren für mich das, was mir das A-Team, Knight Rider und Convoy während meiner Kindheit vorlebten. Ich hatte keine Ahnung.

Convoy Title

Meinungsbildend: Stockender Verkehr in karger Landschaft.

 

Der Vater von K. jedenfalls war für meinen ersten Kontakt mit Jelly Beans verantwortlich -lange bevor man es, auf Klassenfahrt, im Kölner Karstadt fand und vor den Mitschülern eine fachmännische Meinung zu jedweder Geschmacksrichtung abgeben konnte. Das klingt hier komisch, aber damals war das etwas Besonderes.

Viel interessanter war hier aber der Punkt Musik: In einer Zeit, als Musikdownloads noch unvorstellbar waren (Pre-Napster) und selbst nach bekanntwerden dieser Möglichkeit noch Tage vergingen, bis man eine CD zusammenhatte (Pre-DSL) freute man sich wie ein Schneekönig über neues Zeug. Je unbekannter, desto geheimnisvoller. Und cooler. So kam es dann, dass wir die erste Platte von „3 Doors Down“ lange vor ihrem Europarelease ziemlich cool fanden -auch wenn ich da heute nicht mehr unbedingt dahinterstehe. Ansonsten rotierten noch Redman und Cypress Hill im CD Player, wir schauten Cheech & Chong, aßen Beef Jerkys und tranken aufgelöstes Eisteepulver aus 4 Liter Kanistern -im Dorfdeutschland der 90er war das ziemlich außergewöhnlich. Dazu kam natürlich noch die Faszination, den ganzen Tag englisch zu reden. Der verständnissteigernde Effekt des Sprachbades blieb allerdings aus -das Vokabular am Nachmittag konnte ich am Vormittag in der Schule nur schwer einsetzen.

„Sowas war mal angesagt?“

Ziemlich cool waren dann natürlich auch die anderen Mitbringsel, die man unbedingt haben wollte. Irgendwelche Kleidungsstücke von Starter, Mützen mit NFL/NHL/NBA-Logos, „echte“ Nike…die Liste ließe sich noch um allerhand Schrott und unnützen Kram erweitern. Wer das jetzt liest und sich denkt „Aber den ganzen Kram kriege ich doch auch bei amazon.de oder im Laden um die Ecke“ liegt richtig, ist aber vermutlich nicht vor 1995 geboren.

Starter_Jacke

Niemals aufgeben: War auch hässlich, aber sehr begehrt.

 

Ein paar Jahre später, ich war so 16 oder 17, hatte ich einen neuen Klassenkamerad namens M. M.’s Vater kam aus Alabama, war in Vietnam und unterstrich das Klischee, welches man sich so über die Jahre angeeignet hatte. Die materiellen Begehrlichkeiten von Übersee verschoben sich auf Softdrinks und Snacks, ich glaube mein Beef-Jerky-Durchsatz war zu keiner Zeit höher als zu dieser. Vieles verwässerte aber schon: Im konservativen Sportgeschäft hingen auf einmal lauter Sachen, für die man ein paar Jahre zuvor noch „jemanden kennen“ musste um sie zu „besorgen“. Das ist also diese Globalisierung.

So, wie meine Begeisterung für die USA zu Grunde ging (lag auch an George W. Bush jr.) ging auch meine Freundschaft zu M. zugrunde (lag nicht an George W. Bush jr.) und ich fand auch andere Dinge auf einmal viel interessanter. Ich machte mir keine großen Gedanken mehr um Produkte aus den USA und merkte auch nicht wirklich, wie sie immer mehr zum alltäglichen Sortiment unseres Einzelhandels wurden.

Beim nächsten Mal: Alles über Vorfreude, meinen Flug und meinen erster Eindruck.

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